Image: Marc Brandenburg im PalaisPopulaire
Foto: Ulrich Ghezzi
Featured in Der Tagesspiegel

Marc Brandenburg im PalaisPopulaire Zwischen Protest und Pose, Hass und Homoerotik

31 May 2021
PalaisPopulaire

In Marc Brandenburgs Graphitzeichnungen schillert es gespenstisch. Der PalaisPopulaire widmet dem begnadeten Zeichner eine Überblickschau

VON JENS HINRICHSEN

So könnte ein Grafikkabinett auf einem Exoplaneten aussehen. Der Hauptraum der Ausstellung „Hirnsturm II“ ist von Schwarzlicht erfüllt. Bläulicher Dämmer, von grell strahlendem Papierweiß unterbrochen. Doch selbst bei Normalbeleuchtung wirken Marc Brandenburgs Zeichnungen wie außerirdische Erzeugnisse. Mit Ausdauer und Präzision verwandelt die „menschliche Kopiermaschine“ (Selbstauskunft) Fotografien zu Graphitzeichnungen. So weit, so fotorealistisch.

Doch als gäbe der bodenständig-bodenlose Künstlername das Programm vor: Die malerischen, mit drei Bleistiftstärken erzeugten Valeurs sind umgekehrt! Wie bei Negativstreifen sind die Schatten hell, die Lichter dunkel. Offene Münder glühen wie Lavaseen. Schwarzes Feuerwerk splattert über einen nächtlichen Kreidehimmel.

Ein Bettler kniet auf Straßenpflaster, das an eine endlose Schokoladentafel erinnert. Das Süße und das Bittere, Lust und Grauen – im schillernden Metallic-Look überlagern sich Bilder und Gegenbilder. Gespenstisch.

Es überwiegen Alltagsmotive, die der Künstler seit über 25 Jahren auf urbanen Streifzügen mit der Kamera festhält. Jahrmärkte, Fridays-for-Future-Demos, überladene Villen-Interieurs, der Gewitterhimmel über Berlin, der Tiergarten als Cruising-Area. Dazwischen Selbstporträts in diversen Larven, Trachten-Trägerinnen, Kultfiguren wie Michael Jackson, der Tod – ein dürrer Akt mit Totenkopfmaske –, eine Treppe herabsteigend.

Protest und Pose, das Sehnen und die Sucht, Hass und Homoerotik: Motivisch reißt Brandenburg ein gewaltiges Panorama auf, das kehrt die Überblicksschau im PalaisPopulaire deutlich heraus. Sein Bleistift registriert nicht nur persönliche Vorlieben. Auch Angstbesetztes wird pedantisch gezeichnet, gerahmt, UV-belichtet (das soll ohnehin keimtötend wirken). Brandenburg leidet an Coulrophobie, Panik vor Clowns, die dann trotzdem – oder gerade – aufs Papier müssen.

 

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