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Martin Müller
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Georg Baselitz „Ich wollte raus aus dem Grau“

1 April 2021

Die Welt auf dem Kopf: Georg Baselitz, der große deutsche Maler, Bildhauer und Grafiker ist vor allem durch seine „verkehrten“ Gemälde berühmt geworden. In Salzburg hat sich Baselitz mit 83 gerade ein neues Atelier eingerichtet. Vor einer neuen Werkschau spricht er über den Antrieb für seine Malerei. „Am Ende wollte ich aus diesem Grau rauskommen“, erzählt Baselitz von seinen Anfängen in den 1950ern – und warum er alles auf den Kopf stellen musste. Und belegt in der Gegenwart, dass mit ihm noch lange und lebhafter denn je zu rechnen ist.

Allerheiligen ist das neue Ostern. Zumindest gilt das für die Osterfestspiele in Salzburg, die wegen der Pandemie kurzfristig auf Ende Oktober verschoben wurden. Überhaupt ist der touristische Kalender in der Mozartstadt gehörig durcheinandergeraten. Das spürt auch Salzburgs Kunstwelt: Monatelang waren die Museen geschlossen. Immer noch fehlt das internationale Publikum. Unbeeindruckt von der Festspielflaute halten Salzburgs Galerien an ihrer eigenen Liturgie fest und eröffnen zu Ostern neue Ausstellungen. Bei Thaddaeus Ropac legt Baselitz jetzt ein Heimspiel hin.

Elke Malen

Nicht nur gehört Baselitz neben Künstlern wie Anselm Kiefer, Joseph Beuys, Valie Export und Gilbert & George zu den Fixsternen der Galerie, der gebürtige Sachse hat zu Salzburg auch ein inniges privates Verhältnis. Seit 2013 lebt er mit seiner Frau in Salzburg, zu seinem Haus hat der 83-jährige Maler im letzten Jahr ein Atelier dazugebaut. Mit dem neuen Raum verfügt der Künstler nun über drei Arbeitsplätze. „Ich hab nie ein Problem gehabt, in neuen Werkstätten zu arbeiten. Inzwischen wechsle ich ja ständig meinen Platz und arbeite da eine Woche und dort eine Woche“, erzählt er im Gespräch mit der Galerie.

Nun ist erstmals eine Werkserie zu sehen, die in Salzburg entstanden ist. Unter dem Titel „Freitag war es schön“ werden Arbeiten gezeigt, die – wieder – Porträts seiner Frau Elke darstellen. Leicht und schwebend wirken die verkehrten Porträts, fast tanzend, obwohl sie, in Francis-Bacon-hafter Manier auf einer Art Thron sitzen. Aber selbst der ist mehr luftige Andeutung als massiver Sitz.

Elke ist das motivische Thema, das Baselitz sein Leben lang begleitet, die Variationen spiegeln seit mehr als 50 Jahren seine künstlerische Entwicklung wider, Jahresringen gleich. Wer jetzt den romantischen Reflex hat, in die seit 52 Jahren praktizierte Elke-Betrachtung eine klassische Maler-Muse-Studie hineinzuinterpretieren, liegt allerdings falsch.

Der Anti-Naturalist

Abgesehen davon, dass Elke ohnehin nicht auf dem Kopf stehend Modell sitzen könnte, sind die Porträts auch sonst nicht „nach der Natur“ gemalt, sondern großformatige farbstarke Abstraktionen. „Ich hab mich immer geweigert, in die Natur zu gucken", erzählt ein gelöster Baselitz: "Ich denke, dass der größte Irrtum und die größte Einengung in der Malerei seit dem Spätbarock ist, dass Malerei etwas mit Natur zu tun hat. Das war in der Gotik nicht so, das war in der Ikonenmalerei nicht so. In der frühen Renaissance fing das dann an, hollywoodähnlich zu werden. Bilder wurden immer ausschmückender, immer realistischer. Das wurde ganz extrem im 19. Jahrhundert und an der Jahrhundertwende mit dem sogenannten Naturalismus. Ich hab gemerkt, dass das der Niedergang der Malerei ist.“

Aber wie der Naturalismusfalle entkommen? Im Gespräch mit Arne Ehmann von der Galerie Thaddaeus Ropac erklärt Baselitz noch einmal von seinem berühmten künstlerischen Schritt, mit dem er sich in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben und auf dem Kunstmarkt unverwechselbar gemacht hat – seine Bilder auf den Kopf zu stellen.

„Dann hab ich diese Umkehrung erfunden, jetzt kann ich alles malen, was ich will, ich kann schlechte Bilder malen, ich kann Akte malen, ich kann Porträts malen, ich kann wie Feuerbach malen, ich kann Schlachtenbilder malen … alle Modelle für Bilder waren möglich, weil es sowieso niemand erkennt. Ich hatte mich frei gemacht, dass ich meinen Sentimentalitäten frönen konnte.“

Die USA

Das „Ur-Elke-Bild“ entstand 1969 nach einem Foto: „Wir waren in Dresden, Elke steht vor einem Kachelofen, dieses Foto hat einen starken Ausdruck, ist sehr traurig, der Ausdruck ihres Gesichtes ist sehr ernsthaft. Immer wenn ich dieses Foto betrachte, ist es anrührend, sehr schwermütig, sehr erinnerungsvoll, deshalb hab ich es immer wieder gemalt.“ Zwar stand Elke auf dem Kopf, war aber noch deutlich zu erkennen. Dieses und fünf weitere Porträts aus jener entscheidenden frühen Phase haben Elke und Georg Baselitz 2020 dem Metropolitan Museum in New York zu dessen 150. Geburtstag vermacht. Eine Geste, die zeigt, wie sehr Baselitz von der US-amerikanischen Kunst geprägt ist.

Paris, nach 1945 noch Sehnsuchtsort und künstlerischer Kompass für viele junge Künstler, auch Baselitz, war mit dem Jahr 1958 schlagartig abgemeldet. Da schlug nämlich eine Ausstellung unter dem Titel „Die neue amerikanische Malerei“ in Europa auf, die einen echten Paradigmenwechsel einläutete. In der Kunsthalle Basel hingen Bilder an den Wänden, die man hier noch nicht gesehen hatte: Großformate mit monochromen Flächen und expressiven gestischen Formen – der abstrakte Expressionismus mit seinen Heroen Jackson Pollock, Barnett Newman und Mark Rothko. Dass die Ausstellung offiziell vom Museum of Modern Art, in Wahrheit aber vom CIA organisiert war, wusste damals niemand.

Abklatsch

Den abstrakten Expressionismus der amerikanischen Maler und später die Pop-Art zählt Baselitz zu seinen wichtigsten Inspirationen. Gleichzeitig hat sich der 1938 als Hans-Georg Kern im sächsischen Deutschbaselitz geborene Künstler immer vehement gegen alles Epigonenhafte gewehrt. Er habe sich „nie als Interpreten verstanden“, sondern immer versucht, sich von allem zu befreien, was ihn besetze. Methodisch orientierte er sich dabei an der Kunstgeschichte, nicht nur Europas, sondern auch Asiens. Künstlerisch treibt ihn der Anspruch, sich von „allem Existenziellen“ zu befreien – damit meint Baselitz auch die deutsche Geschichte. Die Kraft seiner großformatigen farbstarken Bilder zeugt von diesem Kampf. Seit 60 Jahren malt Baselitz, auf dem Boden liegend oder stehend, gegen das an, was ihm im Weg steht. „Seit 20 Jahren gelingt mir das sehr gut.“

Für die aktuellen Arbeiten hat sich der Maler der „Abklatschtechnik“ bedient, eines Übertragungsverfahrens, bei dem die Farbe spiegelbildlich auf die Gegenfläche übertragen wird. Seit 2019 experimentiert er mit dieser Technik, die in der Kunstgeschichte eine lange Tradition hat. In der Grafik findet man sie im späten Barock bei Castiglioni, aber auch Victor Hugo, William Blake und Antoine Watteau wandten sie an. Auch Andy Warhol habe für seine Zeichnungen damit gearbeitet, sagt Baselitz. „Der Abklatsch ist eine Brücke gewesen zur Abstraktion … und ist es vielleicht immer noch.“

Beuys bekommt sein Fett ab

In Zeiten des unentwegten Flimmerns, der Vorherrschaft immer kürzerer rasender Bewegtbilder, in einer Phase der Fragmentierung des Erlebens, das gerade jetzt aus einem Überfluss an Information besteht, tut es gut, vor den Bildern des 83-jährigen Malers zu stehen: der, indem er versucht, „das, was mich behindert in meinen Bildern, das sogenannte Existenzielle“ zu eliminieren, Essenz schafft.

Baselitz, der seine Position immer scharf gegen andere Künstler abgegrenzt hat, findet, auf Joseph Beuys angesprochen, der zu seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr überall groß gewürdigt wird, deutliche Worte: „Beuys war sehr wichtig für alle Künstler aus meiner Generation – er stand einfach ziemlich quer im Weg, sehr unkollegial, was den Auftritt betraf, bis zu physischer Besetzung. Die Raumbesetzung war die größte Kunst von Joseph Beuys. Dieser Anspruch, Sandhäufchen in der Mitte, dulde kein Bild mehr an der Wand, das ist natürlich ein sehr hegemonialer Anspruch.“

Er habe das Beuys’sche Spektakel, die Künstlerdarstellung, nicht akzeptiert, die Kostümierung lächerlich gefunden: „Wie kann man, wenn man schöpferisch tätig ist, sich so lächerlich darstellen?“

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