Malerei wie unter Strom Review by Hans-Joachim Müller
Im Italien der Nachkriegsjahre war die informelle Kunst von Emilio Vedova das Maß aller Dinge. Und doch blieb er ein Unangepasster. Jetzt wird sein Spätwerk entdeckt.
Man käme nicht gleich auf die Idee zu sagen, es sei das Werk der Stunde. Wo sich per Smartphone- App nie gesehene Farb-und-Form-Räusche animieren lassen, müssen Bilder, denen man ihr fern erlittenes Entstehen ansieht, wie aus der Zeit gefallen anmuten: anachronistisch, lebensweltlich überholt. Nur was kann man dafür, dass man wieder mal vor Emilio Vedovas abgründiger Graumalerei steht, just als alle Zeitungen von ihren Ersterfahrungen mit der unfassbaren ChatGPT-Intelligenz berichten?
Wahr ist ja schon: Millionen von abrufbaren Datensätzen sind im Künstlergehirn nicht gespeichert. Doch die obsessive Dichte, zu der die verfügbaren und unverfügbaren In-Bilder verschmelzen, erreicht keine KI. Als wir in den 1980er-Jahren den italienischen Künstler in seinem venezianischen Atelier besucht haben, stand er – groß gewachsen – vor einer viel größer gewachsenen Leinwand, und es sah aus, als habe er sich eben durch ein Brombeergestrüpp gekämpft. Nun zeigt die Salzburger Galerie Ropac ein nie ausgestelltes Set zumeist aus den 1990er-Jahren des 2006 verstorbenen Malers. Es sind diese Bilder des Spätwerks, deren zeichnerische Gestik immer noch eine vulkanische Erregtheit verraten, während sie sich mehr und mehr in ihr Geheimnis zurückziehen.