Auf der Türklingel von Markus Schinwald steht kein Name, sondern nur "Studio". Der Künstler begrüßt den Falter gut gelaunt an der Haustür. Er führt in sein Hinterhofatelier, das auf drei Stockwerken große, volle Räume umfasst. Vieles macht hier neugierig, etwa der Kopf einer lebensgroßen Marionette, zerschnittene Schlachtenbilder oder gestapelte Holzbeine von Biedermeiermöbeln.
Schinwald, der früher einmal Mode studiert hat, trägt ein kariertes Tweedsakko. So schick bei der Arbeit? "Dafür ist der weiße Kittel da", sagt der 1973 geborene Salzburger und schmunzelt, als er für die Kamera in den autoritätsheischenden Arbeitsmantel schlüpft. Im Atelier gibt es mehrere Werkbänke und Staffeleien, wo der Künstler samt Helfer an Skulpturen, Modellen und Gemälden arbeitet.
Oben im Stiegenhaus eine Überraschung: Durch eine Glasfront sieht man in ein Dachzimmer mit einer Chaiselongue, über der ein ausgestopfter Schwan schwebt. "Ein früherer Besitzer wollte hier ein Puff aufmachen, aber er bekam keine Genehmigung dafür", erzählt Schinwald zu dem kleinen Raum, dessen stiegenseitige Wand er durch Glas ersetzen ließ.
Das Tagesbett dient nicht zum Schlafen, es ist mehr eine Installation. Wer bei dem Arrangement an eine Analytikercouch denkt, liegt nicht falsch. Schinwalds frühe Arbeiten drehten sich um das Unbewusste, um Zwänge und Verdrängtes. Sigmund Freud hat den Menschen einmal einen "Prothesengott" genannt, weil er seine Defizite durch "Hilfsorgane" auszugleichen versuche.
Schinwalds Skulpturen und Bilder wimmeln von Apparaturen, die das von Freud beschriebene Unbehagen in der Kultur nicht lindern, sondern hintersinnig verstärken. So entstand 1997 das "Jubelhemd", dessen Träger die Arme hochhalten muss. Letzten Sommer sorgte ein Porträt für Furore, das der Künstler bereits 2010 geschaffen hat: Damals übermalte er ein biedermeierliches Frauenporträt mit einem Schleier, der heute an einen Mund-Nasen-Schutz erinnert.
Das Ölbild "Grita" schmückte das Ausstellungsplakat der Schau "Unvergessliche Zeit" im Kunsthaus Bregenz, die Corona thematisierte. Der Erfolg in Vorarlberg tröstete Schinwald ein wenig über die Verschiebung seines Stücks "Danse macabre" bei den Wiener Festwochen hinweg. Im Atelier steht ein Modell für die Aufführung, die das Motiv des mittelalterlichen Totentanzes aufgreift.
Winzige Plastikfigürchen stellen in der Holzbox das Publikum und die 40 Performerinnen und Performer dar. Bei der Inszenierung, zu der eine eigene Komposition für Liveorchester geschrieben wurde, soll alles gleichzeitig passieren. Wann wird der makabre Reigen wohl stattfinden können? "Den Musikern und den Leuten im darstellenden Bereich geht es ja noch viel schlechter als uns Künstlern", sagt Schinwald ohne Selbstmitleid.
Während des ersten Lockdowns hielt sich der Künstler in den USA auf, wo er seit 2018 an der Elite-Universität Yale unterrichtet. Hat er dort jene Auswüchse der Political Correctness erlebt, die Donald Trump und Co so oft anprangern? Wie jeder Uni-Lehrer in den USA musste auch Schinwald ein Training zu "sexual harassment" absolvieren. Wenngleich ungewohnt, nützte ihm diese Schulung gegen sexuelle Belästigung, als eine Studierende um Ratschläge für ihre Aktfotos bat. "Ich habe dann schnell eine Kollegin gebeten, dabei zu sein."
Zuletzt hielt der Professor für Film, Video &Interdisciplinary im Haus seiner Schwiegereltern in New Hampshire Onlineseminare. Ihrer New Yorker Wohnung in Harlem konnten der Künstler und seine Frau, die Musikerin Ginger Dellenbaugh, während der Covid-Krise ausweichen. "Die Leute dort sind arm und haben keinen Platz, deshalb war Social Distancing schwierig." Mittlerweile sehe der Alltag in dem afroamerikanischen Viertel aber fast normaler aus als in den reicheren Gegenden unterhalb des Central Park. Dort musste rund die Hälfte aller Lokale und Geschäfte schließen.
"Wir haben die Lust auf Amerika aber ohnehin verloren", sagt Schinwald. Sein Überdruss hat nicht nur mit Donald Trump zu tun. Die Kunstszene New Yorks sei nur noch vom Wettbewerb getrieben. Selbst den Jungen gehe es vorrangig um Erfolg und Geld, beklagt der Künstler, der in Amerika ein schwindendes Interesse an Europa wahrnimmt. Im Schatten von "America first" findet auch in der US-Kultur immer mehr Nabelschau statt.
Zuletzt hat der bekennende Auktionsjunkie Schinwald einige Schlachtengemälde ersteigert. Auf einer Staffelei hängt eine große Leinwand, in die ein kleiner Teil eines historischen Bildes eingebaut wurde. "Mich reizt, dass das ein ganz schweres, belastetes Thema ist. Die Gemetzel des Krieges sind ja eigentlich das Schlimmste, was man so malen kann", erklärt er sein Interesse an gefallenen Reitern und blutigen Haufen von Soldaten.
Die Totenreigen der Vergangenheit lassen auch die Gegenwart nicht los.